Audi Sport Quattro S1 Unter den zahlreichen Rallye-Triumphen, die Audi in den 80er Jahren zelebriert hat, ist der letzte besonders in Erinnerung geblieben: Vor 20 Jahren, am 11. Juli 1987, gewann Walter Röhrl mit dem Audi Sport quattro S1 das Bergrennen am Pikes Peak im US-Bundesstaat Colorado.
Nachdem sich Audi im Jahr zuvor aus der Rallye-WM zurückgezogen hatte, manifestierte dieser Erfolg den Vorsprung durch Technik ungebrochen in der Serie. Nach dem Abschied vom Rallyesport führte die quattro-Technologie ihren Siegeszug auf der Straße weiter – bis heute hat Audi 2,5 Millionen Autos mit permanentem Allradantrieb verkauft.
Walter Röhrl und Audi, der beste Fahrer und die erfolgreichste Rallye-Truppe jener Zeit – das war eine enge, stets extrem intensive Beziehung. Röhrl, der Weltmeister der Jahre 1980 und 1982, war 1984 zu dem Team aus Ingolstadt gestoßen, als der Glanz der vier Ringe die ganze Rallye-Szene überstrahlte – der permanente Antrieb auf alle vier Räder ließ der heckgetriebenen Konkurrenz keine Chance. Nur zwei Jahre nach den ersten Tests mit dem Quattro Ende 1980 hatte Audi schon die Marken-WM unter Dach und Fach gebracht. 1983 wurde der Finne Hannu Mikkola Fahrer-Weltmeister, und im Jahr darauf errang Audi beide Titel, wobei sich der Schwede Stig Blomqvist die Fahrwertung holte.
Ab 1984 hielten die Rivalen von Peugeot, Lancia, MG und Ford mit Allrad-Konzepten gegen das neue Wettbewerbsauto von Audi, den Sport quattro, der im Radstand auf 222 Zentimeter verkürzt worden war. Das Reglement der damaligen Gruppe B stellte die Technik weitgehend frei; der hitzige Wettbewerb führte zu Motoren, die über 370 kW (etwa 500 PS) leisteten. Die hochbeschleunigte Ära endete 1986; Audi verließ die WM.
Um auch dem amerikanischen Publikum die „art of engineering“ (so der Slogan in den USA) nahe zu bringen, war Audi 1984 zum ersten Mal beim berühmtesten Bergrennen der Welt angetreten – dem „Race to the clouds“ am Pikes Peak im Bundesstaat Colorado. Der 4.301 Meter hohe Berg liegt in den Rocky Mountains und ist nach dem Entdecker Zebulon Montgomery Pike benannt, der ihn anno 1806 im Auftrag der US-Armee kartographierte. Das erste Rennen ging 1916 über die Bühne; danach wurde es regelmäßig ausgetragen, meist am Nationalfeiertag 4. Juli. Anfang der 80er Jahre richteten die Veranstalter eine Kategorie für Rallye-Autos ein – eine ideale Bühne für High-Tech-Marken wie Audi.
Die Strecke am Pikes Peak ist einzigartig. Das „International Hill Climb“, wie das Rennen offiziell heißt, findet in einer Welt statt, in der sich Bergsteiger zuhause fühlen. Sein Start am „Crystal Creek“ erfolgt auf 2.866 Meter Höhe, bis zum Ziel auf dem Gipfel sind 19,99 Kilometer mit durchschnittlich sieben Prozent Steigung zu absolvieren.
156 Kurven ohne Leitplanken
Die Serpentinenpiste, die in 156 Kurven durch Nadelwälder und über nackten Fels führt, besteht zum größten Teil aus rötlichem Sand und Schotter, darunter liegt ein fester Untergrund aus Lehm. Die Fahrbahn ist auf den Geraden sechs Meter und in den Kurven bis zu 15 m breit, Leitplanken gibt es nicht. Im oberen Abschnitt windet sich die Piste immer wieder an scharfen Graten wie an einer Tischkante entlang, am Punkt „Bottomless pit“ gähnt ein Abgrund, der 1.800 Meter tief ist.
Wie in der Rallye-WM feierte Audi auch am Pikes Peak auf Anhieb große Erfolge. 1984 wurde die Französin Michèle Mouton, von einem kleinen Defekt eingebremst, mit dem Audi Sport quattro Zweite, im Jahr darauf gewann sie das Rennen. 1986 setzte der amerikanische Rennsport-Held Bobby Unser in einem Sport quattro S1 mit einer Zeit von 11:09,22 min. eine neue Bestmarke.
Der S1, mit dem Röhrl 1987 als Audi-Einzelkämpfer antrat, war eine High-Tech-Fahrmaschine von nackter, ans Limit getriebener Funktionalität. Der 2,1-Liter-Fünfzylinder, längs im Bug montiert, gab nominell um 440 kW (etwa 600 PS) bei 8.000 1/min und 590 Nm Drehmoment bei 5.500 1/min ab. Am Gipfel des Pikes Peak dürfte die real verfügbare Leistung um 330 kW (zirka 450 PS) gelegen haben. Ein Umluftsystem setzte den großen Turbolader vom Typ KKK K28 permanent unter Druck, was dessen Ansprechverhalten in der dünnen Höhenluft entscheidend verbesserte: Wenn die Drosselklappe zuging, schoss die Ladeluft in den Auspuff; dort verbrannte sie mit dem Abgas nach und hielt so die Turbine auf Drehzahl.
Die Kräfte des Fünfzylinders strömten über ein Sechsganggetriebe, das bereits nach dem Doppelkupplungsprinzip operierte – eine Pionierleistung von Audi –, auf einen quattro-Strang, der mit drei Sperrdifferenzialen bestückt war. Doppelquerlenker führten die vier 16-Zoll-Räder, auf die Reifen von Michelin aufgezogen waren. Am Pikes Peak, wo es praktisch nur bergauf ging, setzte Audi eine kleine und entsprechend leichte Bremsanlage ein.
Konsequent gewichtsoptimiert und zum Einsitzer umgebaut, wog der Audi Sport quattro S1 bei seinem Einsatz in Colorado nur etwa 1.000 Kilogramm. Über einem Gitterrohrrahmen spannte sich eine Außenhaut aus Stahlblech und Kunststoff. Gewaltige Flügel an Bug und Heck, im Windkanal entwickelt, drückten die kantige Karosserie auf den Boden, selbst an den Flanken trug das Auto breite Seitenleitwerke.
Röhrl dominierte vom ersten Tag an
Walter Röhrl, der zurückhaltende Perfektionist, galt den amerikanischen Motorsportfans als fast unbekannter Europäer, er fuhr zum ersten Mal am Pikes Peak. Aber die Dominanz, mit der er das Geschehen von Beginn an in die Hand nahm, dokumentierte sein Ausnahmekönnen. Die Peugeot-Truppe unter der Leitung von Jean Todt machte trotz aufwändiger Vorbereitung nur im Qualifying einen Stich: Als sich das Umluftsystem von Röhrls Auto eine elektronische Unpässlichkeit leistete, erzielte Ari Vatanen (Finnland), der stärkste der drei Peugeot-Fahrer, im 205 T16 die beste Zeit.
Am Renntag, dem 11. Juli 1987, schickten die Veranstalter die Piloten in der umgekehrten Reihenfolge der Trainingsresultate vom Start. Vatanen fuhr als Letzter los, Röhrl als Vorletzter. Der Mann aus Regensburg, am Steuer wie immer ruhig und abgeklärt, bewältigte den höchsten Highway der Welt in der neuen Rekordzeit 10:47,85 min. Viermal brachte er den S1 in den sechsten Gang, an der schnellsten Stelle wurde er mit 196 km/h gemessen. Röhrl nahm jede der 156 Kurven mit messerscharfer Präzision und die Kehren im vollen Drift, manchmal hing eine Ecke des Autos schon über dem Abgrund.
Ari Vatanen verlor den Zweikampf, er brauchte 10:54,38 min., knapp sieben Sekunden mehr als Röhrl. Peugeot sprach von einer gebrochenen Schlauchschelle und von daraus folgenden Ladedruckproblemen. Erst im Jahr darauf – Audi hatte sich nach dem Hattrick vom Pikes-Peak-Rennen verabschiedet – gewann Vatanen, jetzt am Steuer eines Peugeot 405.
Walter Röhrl wirkte nach seinem Sieg gerührt, glücklich, den Tränen nahe. Später meinte er: „Ich kann nur sagen: Toll, dass ich damals dabei war. Es war verrückt, aber oft ist gerade das Verrückte das Schönste im Leben. Es war der Gipfel dessen, was man mit einem Rallye-Auto machen kann.“
Siegeszug auf der Straße
Röhrl und Audi blieben noch mehrere Jahre zusammen – als Berater half der zweifache Weltmeister der Marke, den Siegeszug der quattro-Technik auf der Straße fortzusetzen. Schon von 1982 an hatte Audi neben dem legendären Ur-quattro von 1980 fünf weitere Allrad-Modelle ins Programm genommen. 1988 folgte der grundsätzlich quattro-getriebene Audi V8, der mit seinem 185 kW (250 PS) starken V8-Motor in eine neue Dimension vorstieß. Als Rennwagen gewann er die Deutsche Tourenwagenmeisterschaft – ein weiterer Beweis für die Überlegenheit des quattro-Prinzips im Motorsport.
Von 1990 an trugen die S-Modelle, ebenfalls durchgängig mit quattro-Antrieb ausgerüstet, dazu bei, das Image kultivierter Sportlichkeit weiter auszubauen. Noch markantere dynamische Akzente setzte Audi mit der 1994 begründeten RS-Linie. Und seit 1995 sind die durchzugsstarken TDI-Diesel ebenfalls mit quattro-Antrieben zu haben, auch dies eine harmonische Kombination.
1999 zog das Prinzip der vier permanent angetriebenen Räder in die Kompaktklasse ein – beim Audi A3, beim Audi TT und beim Audi TT Roadster flossen die Kräfte des quer eingebauten Motors auf eine elektronisch geregelte Haldex-Kupplung. 2003 folgte beim TT das innovative Doppelkupplungsgetriebe DSG mit der prinzipiell gleichen Technik, die schon Walter Röhrl den Sturm auf den Pikes Peak erleichtert hatte. Eine weitere Neuerung debütierte 2005 im Audi RS 4. Die neue Generation der mechanischen Torsen-Differenziale verteilt die Momente asymmetrisch-dynamisch – der Kraftfluss auf Vorder- und Hinterachse im Verhältnis 40:60 erlaubt noch sportlicheres Fahren.
Zwei Zahlen sollen den Siegeszug der quattro-Technologie illustrieren: Aktuell hat Audi, der weltweite Marktführer bei Personenwagen mit permanentem Allradantrieb im Premium-Segment, in seiner Modellpalette nicht weniger als 84 Allrad-Varianten. Und von 1980 bis heute hat die Marke 2,5 Millionen Autos mit quattro-Antrieb gefertigt.